Kontakt- und Konsumraum Stellwerk: „Das hier ist ihr Tempel“

Das Stellwerk hat seine Räume in der Augustenstraße, mitten auf der offenen Drogenszene. Wer dort unterwegs ist, kann im Stellwerk essen und trinken, Toiletten und Duschen benutzen, telefonieren und sich medizinisch versorgen lassen. Die Besucher:innen können Utensilien wie Nadeln und Pumpen zum Selbstkostenpreis kaufen oder gegen ihre gebrauchten tauschen. Und wer will, bekommt Beratung zu weiterführenden Hilfen und zu Unterstützungsleistungen.

Diana*: “Also ganz, ganz ehrlich, das hab‘ ich so noch nicht erlebt, die Sozialarbeiter … “

Sabine*: “Die sind echt top!”

Diana: “ … die haben sich immer um uns gekümmert. Und als meine Frau im Krankenhaus war, haben die sich so um mich gekümmert, die haben mir das angesehen, dass es mir schlecht ging. Die haben gesagt ‘Komm, wir geben dir Essen, wir geben dir zu trinken’ … “

Sabine: “Das ist nicht selbstverständlich.”

Diana: “Isses auch nicht. Es ging mir so schlecht. Und die waren immer für mich da. Ich bin so stolz, dass es das hier gibt, das Stellwerk. Für mich. Mir kommen jetzt die Tränen, weil die immer für einen da sind. Immer.”

Sabine: “Ja!”

Diana: “Wo sie [Sabine] weg war, die haben sich zu mir an den Tisch gesetzt, die haben sich mit mir unterhalten, die haben sich Zeit genommen.”

*Diana, Frau von Sabine | *Sabine, Frau von Diana
Beide haben Suchterfahrungen mit Kokain

Die Aufgabe des Stellwerks sieht ihr Leiter, Lars Eilers, darin, die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, die – oft seit vielen Jahren – mit Drogenkonsum leben. Er sieht sie darin, so weit wie möglich ihre Gesundheit und ihr Leben zu erhalten. “Jede:r Mitarbeitende hier ist für den Notfall geschult. Wenn sich jemand überdosieren sollte, kann jede:r erste Hilfe leisten. Seit Bestehen des Fixpunktes, das war die Vorgängereinrichtung, haben wir keinen Todesfall gehabt. Und auch in Zukunft wird es keine geben. Durch die hervorragende Ausbildung sind die Überlebenschancen sehr hoch.” Dirk Losang, stellvertretender Einrichtungsleiter und zuständig für das Medizinische, ergänzt: “Die Sozialarbeiter:innen werden alle paar Tage trainiert, die sind immer auf dem neuesten Stand hier. Die wissen, wie man behandelt, die wissen, wie man reanimiert.”

Wer konsumiert, ist ein Mensch. Den Konsumraum sieht Lars vor allem als Schutzraum: “Man hat die Möglichkeit, hier geschützt zu konsumieren. Wenn auf der Straße konsumiert wird, herrscht immer Angst vor Polizei, Ordnungsbehörden, Sicherheitsunternehmen. Hier konsumieren sie witterungsgeschützt und unter hygienischen Bedingungen.”

Wer den Konsumraum betreten will, muss einen Vornamen oder Szenenamen angeben. Doch nur, damit die Mitarbeiter:innen die Person im Notfall ansprechen können. Alle Besucher:innen dürfen anonym bleiben und behalten ihre Autonomie. Dirk beschreibt es so: “Hier werden sie einfach als Menschen behandelt. Hier werden sie akzeptiert.” Und Lars ergänzt: “Das ist ‘ne randständige Szene. Deshalb ist das toll, wenn die dann merken, du kannst einfach mal ganz normal schnacken mit den Kolleg:innen hier und wirst nicht vorverurteilt.” Dirk betont, was schon Diana und Sabine gezeigt haben: wie dankbar die Menschen dafür sind. “Ich bin über 30 Jahre im Rettungsdienst unterwegs gewesen, und ich hab‘ noch nie so dankbare Patient:innen gehabt wie hier. Und die sagen das auch dauernd. Das habe ich in meinem ganzen Berufsleben noch nicht gehabt. Ich mach das liebend gern hier.”

Ein weiterer wichtiger Teil der Arbeit im Stellwerk ist Streetwork:  Wer nicht ins Stellwerk kommen kann oder will, bekommt Besuch von Straßensozialarbeiter:innen. Zu ihren Aufgaben gehören Equipment tauschen, Hygieneprodukte ausgeben, Beratungsangebote bereitstellen und Flyer verteilen. Wer neu in der Szene ist, erfährt oft erst von den Straßensozialarbeiter: innen, dass es das Stellwerk gibt. “Hier startet, wenn überhaupt, für viele Besuchende ihr ‘Einstieg in den Ausstieg’.” Dieser Satz von Lars macht klar, warum die Netzwerkarbeit für das Stellwerk vor allem in eine Richtung funktioniert: von hier hin zu den anderen Einrichtungen. Wenn möglich, wird innerhalb der Paritätischen Suchthilfe Niedersachsen vermittelt. Extern vermittelt das Stellwerk an die verschiedenen Substitutionsärzt:innen, an Wohnunterkünfte und an Entgiftungskliniken. “Das sind”, so Lars, “die primären Netzwerkpartner im operativen Geschäft.”

Es ist im Interesse aller, für Ordnung zu sorgen. Somit ist auch die Zusammenarbeit mit der Polizei eine wichtige Aufgabe des Stellwerks. “Die Polizei am Raschplatz und in der Herschelwache, das sind quasi Netzwerkpartner, mit denen wir auch in Arbeitskreisen zusammenarbeiten. Es gibt Netzwerktreffen, die finden alle sechs Wochen statt. Da ist die Polizei dabei, der Ordnungsdienst der Stadt Hannover und verschiedene private Sicherheitsunternehmen. Dann redet man: Wo sind die Problematiken? Wie kann man sie verhindern oder bestmöglich mit ihnen umgehen?” Das Stellwerk ist derzeit in acht verschiedenen Gremien aktiv: runde Tische, Arbeitskreise, Netzwerke, Treffen, die aus ganz unterschiedlichen Institutionen zusammenkommen.

Für viele Besucher:innen ist das Stellwerk das Zentrum ihres Lebens. Oder wie Dirk sagt: “Das Schöne ist: Die verteidigen das hier richtig, das ist so wie das Zuhause.” Dirk ergänzt abschließend: “Das hier ist ihr Tempel.”

Weitere Neuigkeiten: